Predigt zum letzten Sonntag nach Epiphanias, Lesereihe IV, 13.02.2000

(von Tilman Reinecke) 

TXT: Offenbarung 1,9-18
Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus, war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus. Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, die sprach: Was du siehst,das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea. Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich siebengoldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. 

Liebe Gemeinde!  
Was kann uns trösten in Traurigkeit, in Bedrängnis? Auf diese Frage sollen diese Worte aus der Offenbarung des Johannes den christlichen Gemeinden eine Antwort geben. Vielleicht klingen sie vertraut in unseren Ohren: "Ich bin der erste und der letzte und der Lebendige". Wenn wir aber genau hinschauen, dann sind sie uns fremd und bekannt zugleich. Fremd,denn wir wohnen nicht in Kleinasien, in Smyrna oder Laodicea. Als Gemeinden sind wir nicht so bedroht, wie die Menschen damals. Die Worte sind ja auch zu einer ganz anderen Zeit geschrieben worden. Und was vielleicht das Stärkste ist: Von Christus haben wir doch ein ganz anderes Bild. Hier ist nicht der gütige Jesus, der predigt und Menschen heilt. Hier sind nicht die geschliffenen Worte des Paulus. Hier sind rätselhafte Bilder. Wenn wir sie uns vorzustellen versuchen, dann versagt fast die Phantasie. Feurige Augen, eine Zunge wie ein Schwert und Haar wie weiße Wolle. Das hat mit dem, wie wir uns Jesus vorstellen, wenig gemein. Und doch bekannt: Viele von uns stellen ja den Fernseher ab, wenn die reißerischen Filme kommen mit Monstern und Drachen, wie sie manche Jugendliche heute gern sehen. Aber ähneln nicht diese Gestalten ein wenig doch den Figuren, wie sie in der Offenbarung vorkommen, den Drachen, den Pferden und was wir alles in diesem Buch lesen?
Und doch: Schreibe, so sagt die Stimme, schreibe an die Gemeinden! Schreibe, was du siehst; an die Menschen, die mit dem schweren Alltag umgehen müssen, die am Glauben verzweifeln könnten in ihrer bitteren Realität.
Ein glühender Geist weht durch die Worte der Offenbarung: Verzweifle nicht! Das, was ihr leidet, das ist schon überwunden. Eurem Leid steht der Sieg Jesu gegenüber. Er hat doch schon längst gesiegt über die Mächte, vor denen ihr Angst habt. Ja, er hat auch schon gesiegt über den Tod, den ihr so fürchtet. Und er ist erhöht in den Himmel, ist eigentlich schon mit Gott der Herr über die Welt, auch wenn noch die Bosheit tobt. Doch diese Wahrheit ist auf Erden unsichtbar. Wie soll man davon reden? Und dann kommen die Worte, die so sind, als würden Bilder gemalt und doch nicht gemalt: Immer wieder heißt es "wie": "Wie" ein Menschensohn, ein Haar "wie" weiße Wolle, eine Zunge "wie"ein Schwert. Denn was er gesehen hat, davon kann Johannes wohl reden, aber er weiß: Worte werden niemals reichen, das auszudrücken, was er gesehen hat. Niemals reichen unsere Worte an die Herrlichkeit und an die Schönheit und den Schrecken des Himmlischen, des Ewigen heran.
Und was er sieht uns hört, ist Jesu, ja ist Gottes Stimme. Da wendet er sich um. Vielleicht steht Gott eines Tages hinter uns und ruft nach uns. Dann wendet sich das Leben. In aller Vorsicht nur können wir versuchen, uns dem Bild zu nähern. Es ist eine Lichtgestalt wie ein Mensch und wie die Sonne, die Johannes sieht. Denn Christus scheint wie Sonne in die finstere Welt. Umgeben ist er von sieben Leuchtern. Und einen Kranz von sieben Sternen trägt er in der Hand, die sind wie Engel. In alter Zeit ist die Sieben die Zahl der Mächte des Schicksals. Die Schicksalsmächte sind es, denen wir ausgeliefert scheinen. Doch sie sind schon in der Hand des Überwinders, haben ihre ewige Macht über uns Menschen verloren. Und die Leuchter sind das Licht, das den Gemeinden leuchtet. Seine Zunge ist wie ein Schwert, denn sein Wort ist die Wahrheit über uns und ist Gericht. Es geschieht, was geschehen muß, wenn der Mensch dem Göttlichen begegnet. Der Seher fällt erschreckt zu Boden, ist wie tot. Denn wie unvollkommen, wie schuldig sind wir gegenüber dem lebendigen Gott. Und immer wieder ist es in der Bibel Gott, ist es Christus, der sagt: Fürchte dich nicht! Du bist in guten Händen, in ewiger Hand, du bist bei dem, der in Wahrheit eigentliche Herrschaft über die beängstigenden Mächte, über die Hölle, über den Tod hat.
Kann uns das wirklich trösten? Dieses Wissen, daß jenseits unserer Realität etwas anderes ist? Ist es nicht ein schöner Schein? Wir kennen ja die Worte vom Opium für das Volk? Die Gefahr gibt es wohl, daß man sich aus der bedrängenden Realität flüchtet in eine Scheinwelt. Paulus sagt: "Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen." Das ist wohl wahr. Und doch dürfen wir Christus vertrauen, daß über allem, was wir erleben und erleiden, daß jenseits von Schicksal, von Traurigkeit, von Krankheit und Tod, eine ewige Liebe ist, die alles das überwunden hat. Die ewige Liebe Christi.
Wir sehen immerhin auch, wie eine Welt ohne Gott werden kann: Egoistisch, gierig und gewalttätig. Denn wo nur noch Sinnlosigkeit herrscht, da gehen alle Werte verloren. Wozu noch die Gebote Gottes, wozu noch in Verantwortung leben, wenn es keine Orientierung im Ewigen mehr gibt? Dann kann man doch nur noch sehen, wie man in den paar Jahren des Lebens möglichst viel an sich reißt, egal auf wessen Kosten.
Man soll schon die Gelegenheiten des Lebens nutzen, soviel vom gottgeschenkten Leben ergreifen, wie uns möglich ist. Wo aber jene ewige Liebe uns leitet, wo wir auf die Stimme Christi hören, die zu unserem Herzen spricht, da gibt es nicht nur einen ewigen jenseitigen Lohn, sondern eine Stärkung der Seele, die uns geduldig trägt und hebt.
Ein letztes: Es wird ja viel über den Sonntag diskutiert. Es heißt,der Geist ergriff Johannes am Tag des Herrn, am Sonntag also. Die Menschheit braucht den Sonntag, damit nicht die Welt des Geldes allein den Menschen beherrscht. Wir brauchen diesen Tag für uns selbst. Wir brauchen ihn aber auch, um dem Geist Gottes uns zu öffnen. Amen.


Kanzelsegen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Tilman Reinecke