| Predigt zum Erntedanktag, Lesereihe VI, 6.10.2002(von Tilman Reinecke)
TXT: Hebr. 13,15-16 (wird erst während der Predigt verlesen): So laßt uns nun durch ihn Gott allezeit das Lobopfer darbringen,
das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Gutes
zu tun und mit andern zu teilen, vergeßt nicht; denn solche Opfer
gefallen Gott.
Liebe Gemeinde!
Es ist uns selbstverständlich geworden, dass wir genug zu essen und zu
trinken haben. Und so wissen wir: Auch das, was in diesem Jahr bei uns
geerntet wurde, wird reichen, sodass wir gut leben können. Zum Erntedanktag
gehört es, dass wir bedenken, was vielen nicht mehr bewusst wird: Es ist
in Wahrheit nicht selbstverständlich, dass wir ernten können, weil alles,
was wächst, aus unverfügbarem Leben kommt. Ja, wir gehen wohl mit den
Pflanzen und Tieren um, die uns Nahrung sind. Es ist auch immer wieder
erstaunlich, was Menschen alles daraus machen können, aber jener Funke
des Lebens, der ist nicht unser, er ist Eigentum des Schöpfers. Das Leben
ist in seiner Verfügung. Angesichts der vielen Möglichkeiten, die Menschen
sich damit geschaffen haben, gerät es wohl leicht in Vergessenheit, was
Matthias Claudius dichtete: "Wir pflügen und wir streuen den Samen auf
das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand. Der tut
mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf und träuft, wenn heim wir
gehen, Wuchs und Gedeihen drauf. Alle gute Gabe kommt her von Gott dem
Herrn. Drum dankt ihm dankt und hofft auf ihn." In diesem Jahr freilich
erschien auch in unserem Lande deutlich, dass unsere Macht in der Natur
doch Grenzen hat, dass unser Umgang mit der Schöpfung Folgen haben kann,
die wir nicht mehr beherrschen können. Die Rede ist natürlich von der
Hochwasserkatastrophe, die vielen in Deutschland die Ernte verdarb. Den
betroffenen Bauern gilt unser Mitgefühl - denen, die zusehen mussten,
wie ihre Pflanzungen umkamen und alle Bemühungen scheiterten, mit technischen
Geräten den Fluten Einhalt zu gebieten. Es ist die Menschheit als ganze,
die dafür verantwortlich ist und die Verantwortung nicht tragen kann.
Es gilt eben nicht, mit der Natur zu kämpfen, sondern mit ihr den Einklang
zu finden. Wenn uns berichtet wird, dass so viele Tier- und Pflanzenarten
aussterben durch menschliches Handeln auf der Erde, dann erscheint es
uns so, als zerstöre der Mensch die Natur. Das ist zweifellos richtig,
aber nicht die ganze Wahrheit. Der andere Teil dieser Wahrheit ist, dass
die Natur immer noch stärker ist als wir. Wir sahen in diesem Jahr, wie
schwach wir eigentlich doch gegen ihre Gewalten sind, die Fluten, die
Stürme. Dennoch, uns ist Brot gegeben und wir haben Grund zum Dank - zum
Dank für allen Segen. Wir feiern heute diesen Dank. Damit stehen wir in
einer ganz langen und alten Tradition. Als das Alte Testament aufgeschrieben
wurde, da gab es den Brauch, Gott von den Früchten zu opfern als Dank
für die Gaben. Viel direkter spürte man damals die Zusammenhänge. Wenn
die eigene Ernte verdarb, dann bekam man selbst den Hunger zu spüren.
So wusste man um die Abhängigkeit vom Segen des Herrn. Das Opfer war eine
Gegengabe für die Erfahrung des göttlichen Segens. Wertvoll war das, was
man opferte. Aus dem 13. Kapitel des Hebräerbriefes hören wir heute den
Predigttext, der vom Opfer spricht: "So lasst uns nun durch ihn Gott allezeit
das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen
bekennen. Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn
solche Opfer gefallen Gott." Das Opfer hat für die Christen eine Verwandlung
erfahren: Christus brachte das größte mögliche Opfer für die Menschen
dar: Er gab sein eigenes Leben zum Opfer. Und darum bedeutet Opfer nun
etwas anderes: Der Dank an Gott wird ein Opfer der Lippen, wird zu Worten
und Liedern, die aus dem Herzen kommen, aus der Freude am Leben. Nicht
mehr das düstere Opfer von Pflanzen, Tieren oder gar Menschen ist es,
das vor Gott gefällt, sondern die Frucht der Lippen. Das hat zuallererst
etwas mit dem Leben und Sterben Jesu zu tun, auch mit der Erfahrung von
der Auferstehung. Und dann hat es etwas damit zu tun, wie wir zum ewigen,
zu Gott stehen. Wo wir es lernen, das Leben aus seiner Hand zu nehmen,
da entsteht eine Dankbarkeit, und da entsteht auch Liebe. Es geht nicht
allein um unser Verhältnis zu Gott, sondern auch das zu Menschen. Das
ist der zweite Teil dieses Textes. In der heute üblichen Lutherübersetzung
heißt es: "Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, vergesst nicht, denn
an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen." Mit anderen zu teilen, so hat
man 1985 übersetzt, weil man auch damals wusste, wie wichtig es für die
Menschen ist, die materiellen Güter zu teilen. Die Not und die Kriegswut
auf Erden müssten so groß nicht sein, würden die Güter und die Früchte
der Erde nur gerechter geteilt. Das Problem ist seitdem nicht geringer
geworden. Noch immer verhungern täglich Menschen, während bei uns so viele
übergewichtig sind. Noch immer verhungern Menschen, während das, was in
den Kaufläden bei uns als Hundefutter steht, weit besser ist als Vieles,
was Menschen in armen Ländern je zu essen bekommen. Dennoch: Eine ältere
Übersetzung entspricht mehr dem griechischen Urtext. Sie lautet: "Wohl
zu tun und mitzuteilen vergesst nicht." Denn das ist mehr: Wohltun ist
nicht nur Gutes, sondern ist, dafür zu sorgen, dass andere sich im Leben
wohlfühlen; das ist Gemeinsamkeit im ganzen Leben, auch im Leben der Seele:
Teilen wir uns mit, mit unseren Freuden mit unserer Traurigkeit, mit unseren
Ängsten? Das wäre das Opfer, der Dank, der unserer Freiheit im Sinne Jesu
entspricht. So hat er das Leben gewollt, dass wir uns einander mitteilen.
Wir wissen heute, wie wichtig es ist, dass Menschen sich aussprechen,
können, über das, was sie freut, aber fast noch mehr über das, was sie
bedrückt. Wer niemanden hat, dem er seine Seele mitteilen darf, der wird
Hunger haben, auch wenn satt zu essen da ist. Aber auch darin haben wir
eine Gabe Gottes, haben Frucht und Ernte in dem was wir uns mitteilen
nicht an Nachrichten, sondern von dem, was wir sind. Es heißt, dass das
Gott gefällt. Zum Erntedank gehört aber auch eine Bitte, dass ein Segen
bei uns bleibt. Es ist Herbstanfang: Dazu gehört die Darstellung des Erzengels
Michael, dessen Feiertag der 29. September ist. Er trägt wohl die Waage
in der Hand, die den Wert eines Lebens misst, aber er ist auch en Engel
für die dunkle Zeit, die dunkle Zeit des Jahres, aber auch das Dunkel,
das es in unserem Leben gibt. Ein Engel des Segens möge über uns bleiben,
dass wir unser Brot im Frieden essen können, dass Gottes Gaben uns nähren.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure
Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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