|
Predigt zum Sonntag
Invocavit, Lesereihe II, 29.2.2004
(von Tilman Reinecke)
TXT: Hebr.
4, 14-16:
Weil wir denn einen großen Hohenpriester
haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so laßt
uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester,
der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht
worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum laßt uns
hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit
empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.
Liebe Gemeinde!
Zu den Verbotsschildern, an die wir uns
im Leben gewöhnen müssen, gehört das eine mit der Aufschrift:
Für Unbefugte kein Zutritt! Meist gehen wir daran vorbei, weil wir
solche Schilder durchaus für sinnvoll halten. Denn der Aufenthalt
von Unbefugten kann einfach gefährlich sein. Auf einer Baustelle etwa,
da könnte einem etwas auf den Kopf fallen oder man könnte abstürzen
und sich die Beine brechen.
Dennoch: Betreten verboten! Diese Anweisung
trägt einen seelischen Stachel in sich: Es gibt Leute, die dürfen
da hinein, du aber nicht, auch wenn Du vielleicht gern dazugehören
möchtest - du mußt draußen bleiben wie der Hund auf dem
Bildchen vor dem Lebensmittelgeschäft. Du bist ausgeschlossen, du
hast keinen Zugang. Und damit sind wir bei einer Erfahrung des Menschen,
die in jedem Leben vorkommt, ausgeschlossen zu sein, nicht befugt zu sein.
Das kommt in vielen Formen vor. Ausgeschlossen von menschlichen Beziehungen,
ausgeschlossen von der Arbeit, von den Reichtümern der Welt, folglich
geringer geachtet. Und erinnerlich ist uns noch die Geheimniskrämerei
in der DDR, wo dieses Schild sehr häufig war. Ja nicht nur das. In
der letzten Zeit war mancher Shop für die eigenen Bürger gesperrt.
Aber wenn wir tiefer gehen, sind da sehr grundsätzliche Erfahrungen
unserer Seele. Wir Menschen fühlen, daß wir aus dem Paradies
vertrieben sind und wir fühlen dabei einen Unwert. Nicht würdig.
Es reicht nicht, wir sind unzureichend und mangelhaft. Was das meint, läßt
sich eigentlich gar nicht besser sagen als mit der Geschichte vom verlorenen
Paradies. Durch einen strafenden Engel sind wir abgeschnitten vom Sinn,
von der Glückseligkeit, ja von Gott. Und diese Geschichte hat ja eben
nicht nur mit der menschlichen Schuld zu tun, sondern sie weist auch auf
eine besondere Tragik hin. Um ein Wissender zu werden, ein freier Mensch,
muß nach unserer Sicht auch die kindliche Unschuld aufgegeben werden.
Wie aber erlangt man den Zugang zu dem,
wonach wir uns von Herzen sehnen, zum Paradies? Ich will da rein, ich will
dazugehören! Auch da machen wir unsere Erfahrungen. Es ist die Leistung,
die uns Zugänge verschafft. So muß der Musiker oder ein Sportler
den oft dornigen Weg der Übung gehen, bevor er zum Kreis der besten
gehört. Und unter den berühmten Künstlern hat es viele gegeben,
die ihren Ruhm nicht einmal selbst erlebten. Vincent van Gogh hat in seinem
Leben ein einziges Bild verkauft und endete sein Leben in ganz ärmlichen
Verhältnissen. Heute werden seine Bilder zu Millionenpreisen gehandelt.
Was muß ein Arzt nicht alles lernen, bis er den Doktor macht? Und
auf diesen Wegen gibt es zuweilen die Versuchung: Aufzugeben - Was soll
die ganze Quälerei, du kannst es doch einfacher haben.
Das seelische Grundgefühl, daß
wir getrennt sind von Gott, vertrieben aus dem Paradies, das wurde auch
durch den Tempel in Jerusalem dargestellt. Da gab es Bereiche, die Frauen
und Männern zugänglich waren. Aber im Inneren befand sich auch
ein Heiligtum, das nur wenigen zugänglich war, und dann gab es noch
das Allerheiligste, das nur dem Hohenpriester zugänglich war. Einmal
im Jahr durfte er hinter den Vorhang gehen, wo die Bundeslade mit den Gesetzen
Gottes war. Dort durfte er den Namen Gottes aussprechen, den sonst niemand
auszusprechen wagte. Denn der Hohepriester ist der Vermittler zwischen
Gott und Mensch. Das lateinische Wort "pontifex" bedeutet "Brückenbauer",
eben zwischen den Menschen und Gott.
Aber wie gesagt: Es geht uns ja um das
innerste die Erfahrung, daß wir ungenügend sind, um am schönsten,
am Größten, am Allerheiligsten teilzunehmen, was unserem Leben
Frieden geben würde und die Sehnsucht nach dem Unendlichen, dem Ewigen
stillen würde. Jeder Mensch, auch der am tiefsten Gesunkene ahnt etwas
von der Schönheit eines unglaublich schönen Paradieses, in dem
wir auf ewig sein möchten. Am deutlichsten spüren wir fern von
Gott zu sein in der Angst. Am nächsten sind wir dem Himmel wohl in
der Liebe. Der Hebräerbrief mit seinen oft fremd klingenden Worten
möchte in uns eine große Hoffnung erwecken. Es ist ein Zugang,
weil Jesus Christus, Gottes Sohn im Himmel ist, dort Zugang hat, er hat
die Himmel durchschritten. Und wir können ihm folgen, das Leben zu
erfüllen, einen Sinn, eine Mitte für unser Leben zu finden. Ein
hohes fernes Ziel? Ja und nein. Ein Lebensweg kann voll Mühe sein,
aber es wird nicht unsere Leistung sein, die uns dorthin bringt. Denn damit,
daß wir den Wert von Menschen nach ihrer Leistung messen, wird die
Gesellschaft unmenschlicher. Was ist denn dann, wenn wir nichts mehr leisten
können, weil wir krank oder alt oder auch nur arbeitslos werden? Es
gibt aber einen Weg dorthin, und der ist wohl von Hoffnung geprägt,
die Kraft gibt, aber auch von Dornen. Denn auch gläubige Menschen
erfahren Leid, Unglück, Krankheit Schmerzen und Einsamkeit, die sie
zum Zweifeln oder Verzweifeln bringen kann. Im ganzen Leben gibt es Versuchungen,
den Weg zu verlassen, das Ganze für einen Spleen zu erklären.
Und manche erleben es, daß sie müde werden, versucht werden,
zu der Masse derer zu gehen, denen das meiste egal ist. Aber auch in unserer
Persönlichkeit sind wir ja manchmal versucht, das Beste von uns nicht
zu wagen aus Angst. Aber es gibt da einen Trost: Der Mittler, der Hohepriester,
Christus kennt unsere Müdigkeit, kennt alle menschliche Schwäche,
alle Furcht, auch alles Leid, das uns davontreiben möchte hin zu einer
Gleichgültigkeit. Aber er hat die Schwäche überwunden. Irgendwann
wußte er wohl, daß sein Weg nach Jerusalem, den er ging, mit
seinem Tod enden würde. Er hätte dem ausweichen können.
Aber er ist nicht weggelaufen vor dem Leiden, nicht weggegangen von seinem
Vertrauen in das ewig Gültige, in Gott, auch im tiefsten Leid, ja
auch im Sterben gab er das Vertrauen in ein anderes Leben nicht auf, das
stärker ist als Gleichgültigkeit und Tod. Im Hebräerbrief
steht: Er kann mitleiden unser Leid. Wörtlich: sympathein: Er ging
seinen Weg mit uns und an unserer Statt. Es gibt eine Sympathie Gottes
mit uns Menschen, eine Liebe, die nicht aufhört. Und die ist mit uns
gnädig und hilft uns, nimmt uns, wie wir sind, mit all dem, was ungenügend
an uns ist, diese seine Güte macht uns würdig zu dem, was in
der Mitte ist, kein Schild mehr: Betreten verboten: Sondern wir gehören
zu dem, was wir uns ersehnen, zum Ewigen, zu Gott.
Kanzelsegen:
Und der Friede Gottes, der höher ist
als alle Ver-nunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
|