Predigt zum Sonntag Jubilate, Lesereihe III, 25.04.1999

(von Tilman Reinecke) 

TXT: Joh. 16,16(17-19)20-23a. 
Christus spricht: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater? Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet. Da merkte Jesus, daß sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, daß ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist. Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen. 

Liebe Gemeinde! 
Es kann uns wie den Jüngern Jesu gehen: Seine Worte wirken manchmal nicht erklärend, sondern lassen eher Fragen aufkommen: Was bedeutet das eigentlich, was er gesagt hat? Man wird wohl ein Leben lang nicht fertig werden mit dem Fragen. Das ist gut so, denn wer nicht mehr fragen muß, der hat alle Antworten und damit ist alles erledigt. Aber so bleibt Glaube lebendig, wenn er fragt und nicht alle Antworten schon weiß. Doch suchen alle Fragen nach einer Antwort. Martin Luther hat eine schöne Empfehlung gegeben. Man mache es mit Bibelworten so, wie mit einem Busch oder Baum, von dem man die Früchte schüttelt. Die reifen Früchte kann man genießen. Und man wird dann ein andermal wieder schütteln und neue Früchte sind gereift. So kann man es auch mit diesem Text tun. Immer wieder sind neue Früchte aus ihm gewachsen. Man kann ihn von verschiedenen Seiten aus betrachten. Es sind die Abschiedsreden Jesu, wie wir sie beim Evangelisten Johannes finden. Jesus ist auf dem Weg zum Kreuz, er wird sterben. Und dann werden ihn die Jünger nicht sehen. So gesehen, passen diese Worte vielleicht eher in die Passionszeit. Aber es ist ein Schimmer von Hoffnung: 'Über eine kleine Zeit werdet ihr mich wieder sehen'. Den Jüngern ist das noch rätselhaft, sie können es nicht verstehen. Der Evangelist Johannes schreibt aus der Erfahrung: Christus ist auferstanden, schreibt aus der Erfahrung von großer Freude. Vorbei ist die Trauer. Ihm ist klar, was das Wort bedeutet: Nach dem Tod werden sie ihn wieder sehen, nämlich in der Auferstehung. 
 

Es hat schon seinen Grund, wenn wir diese Worte zwischen Ostern und Pfingsten hören. Denn Johannes sieht Ostern und Pfingsten immer gemeinsam. In seiner leiblichen Gestalt nimmt Jesus wohl Abschied von den Jüngern, aber Gott sendet den Tröster, den Heiligen Geist. Und er wird die Wahrheit zeigen und in ihm wird Christus bei uns sein, bei seiner Gemeinde. 
Doch was können uns diese Worte bedeuten? Sie deuten unser Leben als Christen, deuten aber eigentlich auf jedes Leben: Sie reden von Leid und Traurigkeit und sind nahe bei uns, wo unser Leben traurig ist. Ja: Auch euch Christen bleibt das Traurigkeit und Leid nicht erspart, und die Welt wird dazu lachen. Johannes spricht von der Erfahrung der Menschen, die um des Glaubens willen verfolgt wurden in seiner Zeit. Doch auch heute gibt es das: Die Welt lacht den Glauben aus und nicht nur den Glauben, sondern auch die Liebe und die Hoffnung. Das geschieht überall da, wo man auf Macht setzt und Gewalt und die Liebe in der eigenen Seele begräbt. In diesen Tagen, wo auf dem Balkan der Krieg tobt, ist das ganz deutlich 
Es ist noch ein anderes in unserer Zeit: Es ist ein gefährlicher Teufelskreis, daß nur immer mehr Konsum die Menschen vorwärts bringt. "Wir amüsieren uns zu Tode", so hat es ein Philosoph unserer Tage gesagt. Es geht doch darum, zu leben und das, was wir an Verbrauch haben, ist doch nur Mittel zum Leben. Aber es wird immer mehr verbraucht und irgendwann sind die Vorräte zu Ende. Der Sonntag, die Zeit der Besinnung, soll nun an manchen Stellen durch weitere Ladenöffnungszeiten auch dem Einkaufen und dem Verbrauch gewidmet werden. Eine Welt, die dem Glauben fremd wird. 
Tiefer aber geht noch etwas, was schwer zu verstehen ist. Bei Johannes sagt Jesus von den Christen: Ihr seid wohl in der Welt, aber nicht von der Welt. Weltfremd sollen wir nicht sein, aber doch macht der Glaube ein Stück weit einsam, wenn bestimmte Reize der Welt uns nicht mehr bewegen. Man kann dafür schon Beispiele finden: Manchmal muß man als Christ gegen den Strom schwimmen, wenn es um Liebe gegen den allgemeinen Haß geht, oder wenn im Osten Deutschlands aus einer Schulklasse nur ein paar wenige Konfirmanden den Mut haben zu sagen: Wir machen es anders, gehen nicht zur Jugendweihe. Und auch heute werden diese jungen Menschen noch manchmal verlacht und zu Außenseitern gemacht. Ein Mädchen hat erzählt: "Als die anderen zur Jugendweihe gingen, da war ich traurig, weil ich allein war. Meine Konfirmation war dann aber viel schöner." 
Manchmal erlebt man es, daß Menschen nicht verstanden werden, die in ihrer Trauer um einen Verstorbenen versinken und nicht gleich wieder einsteigen können in den Fluß des Lebens. Auch sie werden in ihrer Traurigkeit der Welt fremd. 
Es gibt viel Kritik an der Kirche und vielfach mag sie auch berechtigt sein. Doch es ist doch oft noch etwas anderes in dieser Kritik. Es ist das schlechte Gewissen, das Christus loswerden möchte aus dem Dasein, weil da eine Mahnung ist, im Getriebe des Lebens inne zu halten, das Leben anders zu gestalten, andere Werte in den Mittelpunkt zu stellen, wo es um darum geht: Was ist mein Leben wert und wo ist der Sinn? Es gibt ein anderes Reich als das Materielle, das Reich Gottes. 
In die Traurigkeit kommt die große Zusage Jesu: Eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Und weil das zu den Geheimnissen des Glaubens gehört, wird es mit einem Gleichnis verbunden, mit dem Geheimnis der Geburt: "Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist." Man muß bedenken, daß zur Zeit Jesu das Risiko einer Geburt für Frauen unvergleichlich viel größer war, es konnte sehr leicht ihre letzte Stunde werden. Doch die Traurigkeit, die Belastung bis an die Grenze und das Risiko können notwendig sein, damit neues Leben, Verwandlung möglich wird. 
Unumgänglich sind Leid und Tod für uns und es drückt uns wohl nieder. In allen Freuden, die wir haben, gibt es Wermutstropfen. Und es bleibt immer schwer, Leid zu verstehen und anzunehmen, aber nach Christi Worten soll es für das Leben sein, dem Leben dienen, damit etwas Neues geboren werden kann bei uns und wo wir reifen, vor allem aber jenseits allen Leidens und Sterbens: Dann werden auch alle Fragen und Zweifel gelöst sein, denn so spricht Christus: "Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen." Amen. 

Kanzelsegen. 
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Tilman Reinecke