Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis, Lesereihe III, 08.08.1999

(von Tilman Reinecke) 

TXT: Joh. 2, 13 - 22

Und das Passafest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel die Händler, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften, und die Wechsler, die da saßen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus! Seine Jünger aber dachten daran, daß geschrieben steht: »Der Eifer um dein Haus wird mich fressen.« Da fingen die Juden an und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, daß du dies tun darfst? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber redete von dem Tempel seines Leibes. Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, daß er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte.
 

Liebe Gemeinde!
So kannten sie damals Jesus gar nicht. Und in unser Bild von ihm paßt das eigentlich auch nicht. Denn seine Ausstrahlung ist doch eigentlich voller Güte, ja bis ans Kreuz, da er dem Verbrecher, der neben ihm stirbt, noch Gutes zu sagen weiß. Zornig, wütend, wie wild geworden, macht er sich eine Peitsche und schlägt drauf zu, richtet ein Chaos an, stört die Ordnung. Vielleicht möchten wir ihn auch gar nicht so haben. Und doch, er ist ganz Mensch, und da gehört auch diese Seite zu ihm, wenn wir ihn ganz ernst nehmen wollen. Freilich, es ist ein heiliger Zorn, wie denn auch die Jünger an das Psalmwort denken müssen: der Eifer um dein Haus, der wird mich fressen. Was macht ihn so zornig?
Ein großes hat sich Mißverständnis eingeschlichen, eingeschliffen. Als wäre das Wesen des Tempels so wie alles andere, von Handel und Wandel durchsetzt und Geld regierte dort die Welt und auch den Glauben. Mehr noch: Der ganze Betrieb galt ja dem Opfer und hat in sich sogar seinen guten Sinn gehabt: Wenn man nach den Vorschriften des Gesetzes, wohlgemerkt, des biblischen Gesetzes, seine Opfer bringen wollte, dann war das alles ganz praktisch geordnet. Man konnte doch nicht von wer weiß woher die Opfertiere durch ganze Land treiben, wenn man außerhalb wohnte. Und mancher konnte sich auch nur Tauben leisten als Ersatz für Größeres. Da war es doch besser, zu Hause seine Tiere zu verkaufen und dafür neue in Jerusalem zu kaufen. Geld durfte nur in der gültigen Tempelwährung gespendet werden. Wie hilfreich waren da die Wechseltische! Aber der Betrieb fand eben im Bereich des Tempels statt, da, wo das Heiligste, das Allerheiligste war, wo es um das Verhältnis mit dem ewigen Gott geht. Und so wurde das Kaufen und Wechseln bald verwechselt mit dem Umgang mit Gott, als wäre es das - Handel und Wandel. Der Tempel wurde zum Handelshaus. Ja, das Opfer könnte dann selbst zum Handel mit Gott werden, mit der eigenen Seele hat das dann nichts mehr zu tun. Es ist egal, wie es in meiner Seele aussieht, ich hab ja was gekauft und Gott geschenkt. Da hast du es, mein lieber Gott, nun laß mich bitte in Ruhe! Wir ahnen es: In Wahrheit können wir uns das nicht kaufen, daß wir an der Seele heil werden, denn immer will er uns selbst, mit unseren Klagen und Freuden, mit unserem Lachen und unseren Tränen, wie wir sind - mit Licht und Schatten. Der Tempel ist ein Bethaus, wo wir das alles aussprechen könnten, was uns bewegt, so wie es uns befreit, wenn wir jemanden unser Herz ausschütten können, der uns versteht und mag, wie wir sind. 
Die Geschichte hat für unsere Zeit aber noch einen zusätzlichen Stachel. Bitte, ich will nicht unrealistisch sein: Jeder muß zusehen, daß er zurechtkommt und wir brauchen wirtschaftliche Konjunktur, so wie es bei uns zugeht. Irgendwo aber ist etwas Falsches daran. So wie wir wirtschaften, ist alles abhängig nicht nur davon, daß es nicht weniger wird, sondern vom Wachstum. Das bedeutet aber immer schnelleren Konsum und Verbrauch der Vorräte dieser Erde. Und die sind begrenzt! Da lauert eine tödliche Falle für die Menschheit. Wir gehen alle gern einkaufen, ich auch. Das Einkaufen aber wird in unserem Land mehr und mehr zum Kult, es bekommt etwas Magisches - die Fahrt zum Supermarkt. Die Kaufhäuser entwickeln sich zu Tempeln. Und wie schön finden es viele, daß das nun auch schon sonntags geht. Sicher haben Sie gehört, daß die Kirchen, die Arbeitnehmerverbände und auch die Einzelhändler geklagt haben gegen die Lockerung der Ladenöffnungszeiten am Sonntag. Man mag das bei der Kirche für verschroben halten. Doch erst einmal geht es um die Leute, die dort arbeiten müssen, auf deren Sonntagsruhe haben die Chefs nun auch ihren Zugriff. Es ist aber noch mehr: Der Handel greift nach unserer Seele. Ein heiles Leben scheint es zu sein, wenn man mit dem Einkaufswagen durch die Kaufhallen zieht. Und das ist eben die Unwahrheit über unser Leben. Das kann man ja nur, wenn man auch Geld hat, und das wird dann das Wichtigste im Leben. Wenn Jesus da mit der Peitsche dreinfährt, dann tut er es, weil er will, daß wir Menschen lebendig bleiben und nicht zu Teilchen einer monstermäßigen Wirtschaftsmaschine werden. Was uns wirklich bewegt und glücklich, selig macht, was unsere Seele anrührt, das bekommen wir geschenkt.
Nun kann man natürlich sagen: Ihr braucht ja in der Kirche auch Geld, viel Geld, um die Gebäude zu erhalten, um Mitarbeiter zu bezahlen. Das ist wohl war. Nur ist die Frage, was den Menschen wert ist. Durch Jahrhunderte haben viel ärmere als wir die Kirchen zu erhalten gewußt, mit viel weniger Technik. Und unserer Generation fallen die Kirchen bald zusammen, weil das vergängliche Gut wichtiger geworden ist, das was man kauft und doch bald wieder wegwirft, verschrottet. In Wahrheit aber ist das Leben selbst viel mehr wert und das Verhältnis zu Gott, der Quelle unseres Lebens, mehr wert als das Äußerliche, mit dem wir soviel Aufwand treiben. Und das will Jesus hier zurechtrücken.
Jesus wird aufgefordert: Beweise uns, daß du das darfst! Und dann kommt das Mißverständnis: Reißt diesen Tempel ab, ich will ihn in drei Tagen wieder aufbauen. Er redet aber nicht von dem Tempel, an dem man 46 Jahre lang gebaut hat, sondern von sich selbst. Das verstehen aber selbst die Jünger erst später, nach Jesu Tod, nach seiner Auferstehung. Als Johannes wahrscheinlich sechs Jahrzehnte später sein Evangelium niederschrieb, da gab es den Jerusalemer Tempel nicht mehr. Im Jahre 70 wurde er zerstört, eine einzige Mauer blieb übrig - bis heute, die Klagemauer.
Die Nähe Gottes aber ist nicht an ein Gebäude gebunden. In Raum und Zeit nicht. Der Glaube ist geblieben. Manchmal braucht es Zeit, bis wir verstehen. Und wir verstehen oft erst, nachdem wir durch Leidens- und Todestiefen gegangen sind. Manche Menschen sind durch Leid und Schicksal weise geworden. Es gibt soviel, worüber wir trauern und weinen müssen, wir verstehen es nicht, möchten - ja müssen Gott anklagen mit unserem "Warum", das keine Antwort findet. Vielleicht kommen uns Antworten erst, wenn das Fragen zur Ruhe gekommen ist. Nur: Wem denn können wir anderes vertrauen im Werden und Vergehen als dem ewigen Gott? Auf wessen Güte können wir setzen, wo wir selbst den Halt verlieren? Sicher ein weiter Weg und beweisen kann man die Güte Gottes nicht, aber uns zu ihm wenden - an ihn, das könnten wir. 
Kanzelsegen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Tilman Reinecke